Ist Deutschrap gefährlich ?

November 2022

„Flieg in ein andres Land, Badewanne voll Schnaps
Mit Bitches, die sich für gar nix schäm'n
In Mannheim siehst du mich brav Kaffee trinken am Hafen
Ich ficke nicht da, wo ich mich schlafen leg´….“

Es mag sein, dass diese Zeilen in jüngster Zeit aus dem Kinderzimmer Deiner Tochter oder Deines Sohns schallten und Du Dich besorgt gefragt hast: Was hört mein Sohn, meine Tochter da? Sollte ich das nicht verbieten?

Der oben zitierte Text stammt aus dem aktuellen Hit „Fühlst Du das auch“ von Apache 207, der im Jahr 2019 mit „Roller“ die Charts stürmte und insgesamt 31 Wochen in den Top 10 der deutschen Singlecharts gelistet war. Mittlerweile (Stand November 2022) hat „Roller“ über 150 Mio. Aufrufe auf Youtube.

Deutschrap ist nach wie vor omnipräsent. In den Texten werden Drogen konsumiert, sexistische und machomäßige Sprüche geklopft, mit Reichtum geprotzt und über Gewalt gerappt.

Im Januar 2020 erschien im SPIEGEL eine Titelstory mit der Überschrift „Lebe fett, gierig und rücksichtlos - Faszination Gangsta-Rap“ 1. Hier wird das Genre analysiert und es wird u.a. gefragt, warum auch „Mittelschichts-Kinder“ von dieser Musik derart angezogen werden. Eine Musik, in der die Künstler vom rauen Leben auf der Straße berichten, bzw. vom Leben in einem sog. „bildungsfremden Milieu“. Aber auch von Reichtum, dicken Autos und Rolex Uhren.

Wie werden aber diese Texte von jugendlichen Hörern der sog. "bürgerlichen Mitte" aufgenommen ?

Der Soziologe Martin Seeliger meint dazu in einem Interview : „Tatsächlich verstehen Fans aus gutbürgerlichem Hause solche Texte eher spielerisch. Für sie seien es Geschichten aus einer anderen Welt………… Die Songs steckten in einer Schublade, die man nach Bedarf auf- und wieder zumachen kann.“ 1

In einem anderen Interview führt Seeliger weiter aus: „….allerdings leben wir tagtäglich in einer sexistischen Welt. Die Rapper haben sich diese Motive nicht ausgedacht, sondern nehmen sie und überspitzen sie….. Er (Kollegah, Rapper Anm.) bedient damit bei Hörenden die Sehnsucht nach all den geilen Sachen, die das Leben für einen bereithält, sozusagen. Zudem bekommen Jugendliche bei den Deutschrappern das Gefühl, nah dran zu sein. Wenn Beyoncé zeigt, in was für einem teuren Haus sie lebt, dann ist das abstrakt. Die meisten Menschen können nicht in so einem Haus leben. Aber kiffen wie Bonez MC und vor dem Tattoostudio in der Hamburger Sternschanze rumhängen: Das geht.“ 2

Auf die Frage, warum Jugendliche die Musik hören, auch wenn die Inhalte nicht mit ihren Werten konform sind, vermutet Seeliger: Meine Hypothese: weil es cool ist. Weil der Typ auf eine coole Art rüberbringt, dass er gegen Frauen ist. Die Message kann es nicht sein. Es muss die Form sein, oder?“ 2

 

Der Jugendschützer Thomas Salzmann gibt in einem Spiegel-Interview Tipps für ein mögliches Verhalten der Eltern: „Eltern können mit ihren Kindern darüber sprechen, durchaus kritisch, mit Haltung aber vor allem ernsthaft interessiert: Was gefällt dir daran? Wie findest du es, dass Frauen hier „Schlampe“ oder „Hure“ genannt werden?..... Erziehung braucht Austausch über Werte.“ 3

Auch äußert er sich zur Frage eines Verbots durch die Eltern: „Ein Verbot drückt eine Haltung aus und kann im Einzelfall eine notwendige erzieherische Grenzsetzung sein. Aber Gangsta-Rap ist so weit verbreitet, dass es illusorisch wäre, Kinder gänzlich vom Konsum abhalten zu können. Ich halte es für wichtiger, dass sich Eltern mit den Interessen ihrer Kinder auseinandersetzen. Das geht auch über die Musik. Man darf dabei nicht vergessen: Jugendkultur hatte schon immer etwas mit Protest und Abgrenzung zu tun.“ 3

Weiterhin spricht er über die Entscheidung, ob bestimmte Songs indiziert werden sollen:  „Wenn wir über Indizierungen beraten, müssen wir stets die sogenannten gefährdungsgeneigten Jugendlichen im Blick haben, das sind die, die durch ihre Lebensumstände anfälliger für solche Botschaften sein können……. Wir kennen die Debatte schon aus einem anderen Bereich: Nicht jeder, der Ego-Shooter spielt, wird zum Amokläufer. Genauso wird nicht jeder, der Gangsta-Rap hört, kriminell. Doch wir wissen aus der Medienforschung, dass aggressive Texte den Zugang zu aggressiven Gedächtnisinhalten erleichtern. Gelernt wird am Beispiel. Das gilt insbesondere auch für diskriminierende Haltungen. Erkennbar ist das zum Beispiel in der Sprache. Redewendungen wie „Du Opfer“ oder „Wissen, wer der Babo ist“, martialisches Gehabe, hört man heute auf jedem Schulhof. Sie stammen aus dem Gangsta-Rap.“ 3

In einer sehr interessanten Diskussionsrunde des Südwestfunks mit dem Titel „Koks und Knarren für die Kids – Wie gefährlich ist Gangster-Rap“ 4 äußern sich Henrik von Holtum (Labelbetreiber und Musiker), Marcus Staiger (Journalist & Autor) und Juliane Wieler (jetzt Lobo) zu diesem Thema:

Henrik von Holtum wundert sich über den Aufschrei der Mittelklasse-Eltern, da sie teilweise auch „heftiges Zeugs“ gehört haben und aus Ihnen auch „etwas geworden sei“. Auch sei Unterhaltung generell expliziter und pornographischer geworden. Weiterhin sei es auch ein gutes Gefühl, die „krassesten Dinge“  zu sagen.

Auch Marcus Staiger spricht von Doppelmoral, da auch Top-Verdiener dicke Autos fahren und „Geldgeilheit“ das Lebensmodell der Manager-Welt sei. Man solle weiterhin nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, da es „Musik, einfach Musik4 sei.

Für Juliane Wieler (jetzt Lobo) kommt die Gefahr nicht aus dem Gangster-Rap, sondern der Ursprung liegt für sie in der Gesellschaft, da es “generell ein Problem mit körperlicher Gewalt, Sexismus etc. gibt“ 4. Weiterhin stelle die Musik eine Abgrenzung zu den Eltern da.  Auch spricht sie von der „Faszination des Bösen“, ähnlich wie das „Tatort-Schauen“ am Sonntagabend. Auch läge eine weitere Faszination darin, dass der Jugendliche durch die Musik „ein Teil von etwas sein kann, zu dem er sonst nie gehören würde.“ 4

Einig sind sich alle Diskussionsteilnehmer darüber, dass es wichtig sei, sich mit der Musik auseinander zu setzen.

 

 

Zitate:

  1. Gangsta-Rap aus Deutschland: Sex, Protz und dicke Schlitten - DER SPIEGEL
  2. Gangsta-Rap: Soziologe erklärt, warum so viele Jugendliche Musik hören - DER SPIEGEL
  3. Gangsta-Rap: Muss ich mir Sorgen machen, wenn mein Kind "Fick deine Mutter" hört? - DER SPIEGEL
  4. Koks und Knarren für die Kids – Wie gefährlich ist Gangsta-Rap? - SWR2